“Gigantisch” ist das erste Wort, das mir auf der Dachterrasse des vierstöckigen Hauses in Estelí einfällt. Victor Calvo Senior, Junior und ich blicken über das Zentrum des nicaraguanischen Tabaks und haben Blick auf alle wichtigen Manufakturen. Wir sehen eine Fabrik von Rocky Patel, haben Blick auf Plasencia, Oliva und viele weitere. Mitten drinnen türmen sich sechs gigantische graue Fabrikationshallen auf.
Später zeigt mir Victor Calvo weitere Produktionsstätten in der Stadt. Über 1.400 Mitarbeiter sind dort angestellt. Sie kümmern sich um alle Prozesse der Zigarrenherstellung – vom Tabakblatt bis hin zur fertig gerollten Zigarre. Das ist nur ein Teil des Imperiums, das der costa-ricanische Unternehmer hier aufgebaut hat. Er besitzt großflächig Tabakplantagen und hat dabei sogar eine neue Region bei Estelí erschlossen: San Isidro.
Neue Tabakanbauregion bei Estelí erschlossen
Sein Erfolg spiegelt sich in seinem neu gebauten Eigenheim wieder: Es ist das erste Privathaus Nicaraguas mit eingebautem Industrieaufzug von ThyssenKrupp, einer Zigarrenlounge mit 21 Sitzplätzen, einem großen Pool, mehreren Gästezimmern, begehbaren Humidor, Weinlager und vielen weiteren Annehmlichkeiten. In diesem Palast lässt sich ein Zigarrenimperium gut verwalten.

Doch ein Geschäft dieser Größenordnung bringt gleichzeitig viel Ärger mit sich wie ich in den nächsten Tagen erfahren werde. Wir besuchen zunächst seine Finca San Isidro. Diese Anlage ist etwa 25 Kilometer von Estelí entfernt. Victor Calvo ist der erste, der in dieser Gegend in Tabakplantagen investiert. Die Finca ist perfekt organisiert. Hier wird für das Wohl der Mitarbeiter gesorgt und alles läuft wie am Schnürchen.
In Estelí kommen Zigarrenhersteller an ihre Grenzen
Einen Tag später schauen wir uns andere Plantagen an. Estelí hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung hingelegt. Der weltweite Zigarrenboom erfordert immer neue Anbauflächen, Trockenschuppen, Lagerhallen und Produktionsstätten. Das hat nicht nur Grundstückspreise teuer werden lassen. Das Hauptproblem in Estelí ist aktuell ein anderes, erzählt mir Victor: “Nicaragua ist das Land mit den niedrigsten Produktionskosten in Mittelamerika. Das sorgt für Emigration, es fehlen Mitarbeiter in allen Bereichen.”
Die besser Qualifizierten verlassen das Land zuerst, um anderswo ihr Glück zu versuchen. So ist es für Zigarrenproduzenten wie Victor Calvo vor allem schwierig geworden, gutes Personal für wichtigere Posten mit Verantwortung zu finden. Das Resultat beobachten wir bei den nächsten Plantagenbesuchen. Diese sind nur gepachtet, der Einfluss auf die Arbeiter ist geringer, die Motivation niedriger. Hier wird unsauber gearbeitet und es werden mehr Fehler gemacht. Das führt bei jedem Geschäft zu Einbußen – die in diesem Fall der Chef zu tragen hat.
In den nächsten Tagen sehe ich die Plantagen rund um Estelí nur sporadisch. Wie arbeiten in der Fabrik an einer neuen Marke und einigen Sondereditionen für den deutschen Markt. Ab und zu besuche ich kleinere Hersteller, um zu sehen, was es Neues gibt in Nicaragua. Die großen Namen sind schließlich alle in festen Händen. Alle beklagen dasselbe: Es herrscht ein Mangel an Mitarbeitern vor allem bei den Boncheros und Torcederos (Hersteller der Wickel und Zigarrenroller). Daher sitzen in allen Manufakturen vermehrt junge Leute, die frisch angelernt wurden. So auch bei Noël Rojas. Der Kubaner baut das alte Kino gerade zur prächtigen Manufaktur aus. Er sieht die Zukunft Estelís besonders rosig.
Wie geht es weiter mit nicaraguanischen Zigarren?
Doch wie geht es weiter mit Estelí und nicaraguanischen Zigarren? Die Grundstücke für Tabakplantagen werden immer teurer. Es herrscht Vollbeschäftigung in der Kleinstadt. Unternehmer wie Victor Calvo haben bereits Konsequenzen gezogen und außerhalb von Estelí investiert. Honduras ist dagegen nur bedingt eine Option. Die Lohnkosten sind höher und das Land ist unsicherer. Victor Calvo möchte in den nächsten Jahren zwei neue Fabriken eröffnen. Wie weit weg von Estelí steht noch nicht fest. „An einem Ort in der Nähe, wo sich Mitarbeiter finden lassen“ sagt er.